Die Schirrmacher

Wilhelm Bauer 1941

Als Kind besuchte ich gern die Werkstatt unseres Nachbarn, des Schirrmachers Krieg. Hier fertigte der Vater mit seinen beiden Söhnen aus hartem Buchenholz Schubkarren, Radewellen, Schlitten und Kummethölzer an. An den Sonntagen aber schnitzten wir hier unsere Waffen zum Kriegsspiel, Säbel und Holzflinten. Oben auf dem Roten Strumpf stellte, Petermann „Machel“ genannt, sogar Kinderwagen her. Gern sah ich zu, wenn eine Schlange hintereinander gebundener Wagen zur Bahn gefahren wurden. Ein solcher Kinderwagen war ein echtes derbes Bauerngerät. Gummiräder und Federn besaß er nicht. Das Kopfende trug ein Holzverdeck, über welches eine Schürze oder ein Tuch gespannt wurde. In diesem Wagen nahm die Mutter das Kind mit hinaus auf das Feld und in den Wald. Ich habe nicht vernommen, dass die Kinder durch das Rütteln und Schütteln Schaden genommen hätten.

Viel gekauft wurden früher die Schubkarren. Die Frauen der Kleinhändler und Handwerker schleppten mit dem Schiebekarren den Mist auf das Feld, Gras, Getreidegarben und Kartoffeln ins Haus und Holz aus dem Wald in den Schuppen.

Kleinhändler beluden einen Schubkarren mit kleinen Leitern, Rechen, Wurfschaufeln, Dreschflegeln, Kuchendecken und Besen. Sie versorgten die Saalegegend, das Vogtland, das Oberland und das Altenburgische mit diesen Waren. Zuletzt verkauften sie den Schubkarren und kehrten mit dem Trageseil und einer Tasche voll Geld wieder zurück. Die Schübkärner waren kräftige, sehnige Männer und verfügten über einen gewaltigen Appetit.
Im Altenburgischen stärkten sie sich an einem Butterbrot mit Ziegenkäse. Dort wird jetzt noch ein solches einfaches Mahl als Schiebecker bezeichnet.

In einem Decemregister aus dem Jahr 1742 wird Nicolaus Schilling als Schubkarrnmacher genannt. In dieser Familie ist 200 Jahre lang das alte Gewerbe bis zum heutigen Tage immer vom Vater auf den Sohn über gegangen. Es ist aber anzunehmen, dass schon früher hiesige Bauern das Handwerk betrieben haben. 1636 starb ein Schubkärrner aus Niederpöllnitz in Gerhards Scheune. Von 1765 -1800 arbeiteten als Schirrmacher aus dem Geschlechte der Schillinge Johann Daniel, Johann Gottfried, Johann Heinrich, Johann Andreas, Johann Christoph und Johann Georg. Um das Jahr 1880 gab es in Hermsdorf 18 Schirrmacherbetriebe. Zurzeit sind nur noch folgende Männer in diesem Handwerk tätig:

  • Karl Schilling und Vater Louis „Pfeifhans“, Hindenburgstr. 31 heute Eisenberger Str.
  • Karl Leisering und Sohn
  • Georg Schilling, Bergstr. 71
  • August Remme „Schleiße“ und Enkel Bergstr. 52
  • Walter Remme, Bergstr. 52.

Es ist zu bedauern, dass das einst so blühende Handwerk allmählich zu erloschen droht. Die Schirrmacher schieben die Schuld den Händlern zu, weil sie zu sehr die Preise gedrückt hätten, für einen Schubkarren würden nur 3,50 Mark gezahlt worden. 12 Stunden und noch mehr hätte man am Tage arbeiten müssen, um die Familie ernähren zu können. Die Familie Krieg zog ins Magdeburgische. Eini­ge Männer ergriffen ein anderes Handwerk oder gingen in die Fabrik. Jetzt zahlt man für einen Schub­karren 9 Mark und für eine Radewelle 8 Mark.

Früher wurden die Karren mit der Hand angefertigt. Die Arbeit ist aber durch die Maschinen sehr erleichtert worden, man benutzt eine Abrichtmaschine, eine Bandsäge und eine Bohr­maschine.
Will unser Handwerker einen Schubkarren anfertigen, so richtet er zunächst die beiden Bäume oder Holmen zu. Diese verbindet er durch die Schwingen. Auf die Bäume setzt er den Bock. Die beiden gebogenen Kanthölzer erhalten dünne Brettchen, die Spriegel oder Schilpchen. Die Herstellung eines Rades, bestehend aus Nabe, Felgen und Speiken, erfordert viel Geschick .Nach Vollendung der Arbeit beschlägt der Schmied den Karren.
Die Herstellung einer Radewelle oder Radeberge ist einfacher. An die beiden langen Seitenbretter, die die beiden Griffe und das Rad tragen, setzt man den Boden ein und fügt das hintere und vordere Brett hinzu. Beide werden Höhten genannt, weil sie wahr­scheinlich früher erhöht waren. In den Tälern heißt der Bock des Schubkarren Höhte.
Auch Kippkarren, Mistkarren und Steinkarren verlassen die Werkstätte des Schirrmachers. Kummethölzer und Kinderschlitten werden aus meterlangem Stockholz angefertigt. Die Radewellen werden zuletzt in einer Art Backofen mit glühenden Sägespänen gebräunt oder gedämpft, der landläufige Ausdruck heißt gebeet. Der reichliche Abfall gibt ein vorzügliches Brennholz, die harten Sägespäne werden gern zum Räuchern der Wurst­ und Fleischwaren benutzt. Der Schirrmacher verwendet fast nur Buchenholz. Die schönen Laubwälder bei Meusebach, auf der Wölmse, auf dem Kyffhäuser, bei Sondershausen und bei Bebra versorgen unsere Handwerker reichlich mit Holz.

Das Schirrmacherhandwerk war bis jetzt ein freies Gewerbe. Wer aber von nun ab selbständig werden will, muss die Meisterprüfung ablegen. Wir wünschen, dass das alte Handwerk sich wieder zu neuer Blüte entwickelt, denn der Arbeitsdienst und das Baugewerbe benötigen viele Karren.